
Antigone ist Familie. Sie ist Tochter, Schwester und Verlobte. Diese Rollen sind es, die ihr Schicksal definieren und sie in den Strudel der Todessehnsucht herabziehen – bis sie schließlich bei lebendigem Leibe begraben wird. Für den Psychoanalytiker Jacques Lacan ist klar, was die Schuld daran trägt: Das Begehren.
Der berühmte Psychoanalytiker Lacan (1901-1981) führt die Tragödie der Antigone auf das Begehren der Mutter zurück: Iokaste heiratet ihren eigenen Sohn Ödipus und zeugt mit ihm vier Kinder. Die Kinder sind unweigerlich verflucht. Im Gegensatz zu den Werten, die uns der Humanismus predigt, haben Eteokles, Polyneikes, Antigone und Ismene keine Chance auf ein gutes Leben. Das „aus der inzestuösen Vereinigung entstandene Geschlecht“* muss unweigerlich zu Grunde gehen.
Das Begehren der Mutter, so folgert Lacon weiter, wird von der Tochter Antigone auf die Spitze getrieben: „Aber Antigone treibt die Erfüllung dessen, was man das reine Begehren nennen kann, bis an die Grenze, das reine und einfach Todesbegehren als solches. Dieses Begehren verkörpert sie.“*
Für Lacon ist Antigone nämlich vor allem zweierlei: Zum einen ist sie die Tochter einer destruktiven und inzestuösen Vereinigung. Zum anderen ist sie die Schwester eines Verbrechers. Antigone ergibt sich diesen Beziehungen und geht darin auf. Sie ist ganz und gar Tochter, wenn sie ihren geblendeten Vater in die Verbannung begleitet. Sie ist ganz und gar Schwester, wenn sie ihren verdammten Bruder beerdigt. Für Lacon ist es die einzig logische Konsequenz der Antigone: „Antigone [muss] ihr Sein opfern, um dieses wesentliche Sein zu behaupten, welches das Familiäre ist“.*
* Lacan: Das Seminar, Buch VII: Die Ethik der Psychoanalyse, übersetzt von Norbert Haas, Quadriga 1996, S.339
Weihnachten ist grundsätzlich das Fest der Liebe. Spezifischer: Weihnachten ist das Fest der familiären Liebe. An Weihnachten verwandelt sich die familiäre Zweisamkeit von Maria und Joseph, in eine familiäre Dreisamkeit: Ein Kind wird geboren und die Familie wird heilig. Aber was ist die Heiligkeit der Familie im antiken Griechenland? Ein Paradebeispiel ist Antigone. In den nächsten Wochen lernen wir ihre – eine etwas andere Weihnachtsgeschichte – kennen.
Siehe auch Teil 1: Das Grundsätzliche
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