
Der Markt für Medikamente, die keine Medikamente sind, boomt. Von Potenzmitteln aus Nashorn-Hörnern bis hin zu Nahrungsergänzungsmitteln wird alles gehandelt, was Heilung verspricht. Auch der junge Iphiklos wurde einst mit einem Zaubertrank von seiner Krankheit geheilt – bei ihm hat es geholfen. Die Rote Karotte rät trotzdem davon ab.
Markt für Wundermittel
Der Markt für Wundermittel ist groß. Drogerien bieten rundum sorglos Cocktails an, für gesunden Knochenaufbau, Infektabwehr oder bessere Potenz. Im Internet geht es noch verrückter zu. Hier lässt sich sogar verbotenes Nashorn-Horn als Allheilmittel ersteigern.
Jedes Jahr kommen ca. 7.000 neue Nahrungsergänzungsmittel auf den Markt. Der Umsatz steigt seit Jahren, 2022 lag er bei 1,8 Milliarden Euro. Vermarktet werden die Pillen und Pulver oft als Arzneimittel – aber das stimmt nicht. Denn Nahrungsergänzungsmittel durchlaufen – anders als Medizin – kein strenges Zulassungsverfahren. Sie gelten als Lebensmittel und sind deshalb zulassungsfrei. Die Präparate werden deshalb nur stichprobenartig geprüft. Dabei sind sie oft überdosiert und können in Wechselwirkung mit anderen Krankheiten oder Lebensumständen, wie beispielsweise Rauchen oder Schwangerschaft, gefährliche Nebenwirkungen haben.
Aber der (Irr)Glaube an Wunderheilmittel ist nicht neu. Im Gegenteil: Schon in der Antike glaubte man an die Wirkung von krudem Zaubertrank. Im Mythos von Iphiklos hat das sogar funktioniert.
Die Krankheit
Iphiklos stammte aus einer reichen Familie und wuchs zu einem strammen jungen Mann heran. Doch er hatte ein Problem: Iphiklos bekam keine Erektion – er konnte keine Lust empfinden und deshalb auch keinen Erben zeugen. Sein Vater war darüber derartig beunruhigt, dass er alle möglichen Orakel und Weissager um Rat anrief. Iphiklos wurde quer durch die antike Haushaltsapotheke geschleift und mit allerlei Wunderkuren behandelt. Aber nichts schien zu helfen – der junge Mann blieb unfruchtbar und folglich ohne Erben.
Es war schließlich der Hellseher Melampus, der die Ursache für die Unfruchtbarkeit herausfand und ein Heilmittel erfand.
Die Diagnose
Als Iphiklos noch ein junger Knabe war, ging er gemeinsam mit seinem Vater auf die Weide. Hier, von schattenspendenden Bäumen geschützt, graste friedlich das Vieh. „All dies“, erklärte der Vater seinem Sohn mit ausholender Geste, „wird eines Tages dir gehören!“
Plötzlich mähten die Schafe aufgeregt und stoben in Panik auseinander. Ein Widder kam heran galoppiert – offenbar im falschen Gehege – und peinigte die unschuldige Schafherde. Während der kleine Iphiklos sich fürchtend hinter seinem Vater versteckte, rief dieser zornig den Widder an. Vom Ruf des Mannes aufgestachelt, stürmte der Widder auf die beiden Menschen zu. Seine spitzen Hörner waren tief gesenkt, um schmerzhaft zuzustoßen.
Der Vater von Iphiklos beobachtete den Widder genau, wie er schnaubend auf sie zu galoppierte. In letzter Sekunde sprang der Mann beiseite und packte in einer fließenden Bewegung die Hörner. Er riss den Widder zurück, so dass er auf den Rücken fiel. Der Mann packte den Widder fest, zückte sein Messer und kastrierte ihn. Das Tier brüllte auf, befreite sich aus dem Griff seines Peinigers und galoppierte davon.
Der Mann aber nahm das blutbenetzte Messer und schleuderte es in eine der umgebenden Eichen. Dort blieb es zu seinem Stolz stecken. Als er sich überheblich nach seinem Sohn umblickte, bemerkte er erst, wie verängstigt Iphiklos war. Voller Schrecken starrte der Junge auf das blutbenetzte Messer. Ein einzelne Tropfen Blut war ihm ins Gesicht gespritzt und leuchtete rot auf seiner Wange.
Die Behandlung
Es war dieses Kindheitstrauma, das Iphiklos mit Schrecken erfüllte und seither verhinderte, dass er eine Erektion bekommen konnte. Zu tief saß die Erinnerung an die schreckliche Kastration, an das spritzende Blut und den Schrei des kastrierten Widders.
All dies erkannte Melampus und empfahl als Heilmittel: Man solle das Messer suchen, das noch immer im Baum auf dem Felde steckte. Dann solle man den Rost von der alten Klinge abkratzen und in Wein kochen. Zehn Tage lang solle der junge Mann dieses Gemisch trinken, dann werde er genesen. Sie taten wie geheißen, und tatsächlich: Das Wundermittel wirkte und am zehnten Tag war Iphiklos geheilt und zeugte alsbald einen Erben.
Während sich dieses Wundermittel also als hilfreich erwies, verbleiben die meisten Nahrungsergänzungsmittel, Heilkräuter und Haushaltsmittel wirkungslos. Das liegt wohl daran, dass das eine ein Mythos, das andere aber das echte Leben ist.
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