
Nephele war keien Frau. Sie war ein Wolkenkind.
Nephele war unfassbar: Wer sie zu greifen versuchte, dem zerstob sie. Tausend funkelnde Kristalle flogen in tausend Richtungen durcheinander über die Weiten des Himmels verteilt. Sie hatte einen Körper – einen Wolkenkörper – und trug doch nicht das Jocht der Körperlichkeit: Nie war ihr schwer zu Mute, nie hungerte sie oder spürte Durst. So war Nephele frei. Dies ist die Geschichte des Wolkenkindes Nephele: Die Gewalt, die sie in einen Körper presste. Die Liebe, die sie an diesen Körper fesselte. Und Nephele selbst, die sich befreite.
Im Glanz der Orgie
Die Partys auf dem olympischen Götterberg waren legendär: Aus unversiegbaren Quellen floss Wein, das rauschhafte Ambrosia wurde in goldenen Bechern serviert und die Tafeln beugten sich schwer unter dem Gewicht der köstlichen Speisen. Die Götter waren nie satt, betrunken oder berauscht genug. Sie feierten die pure, unsterbliche und deshalb unendliche Eskalation.

Zu einem dieser Gelage war Ixion geladen. Der König hatte von Zeus die Unsterblichkeit geschenkt bekommen und erhielt damit sein Ticket zum olympischen Partyberg. Anfangs stand Ixion abseits, beobachtete die Zügellosigkeit jener Götter und Göttinnen, die er sein Leben lang verehrt hatte: Zeus hing schlaff auf seinem Thron, in der einen Hand den Weinbecher, in der anderen riesige Trauben. Sein Mundschenk, der geraubte Ganymed, kam kaum hinterher mit dem Nachschenken. Auf der Tanzfläche waren nur schöne Gestalten. Gehüllt in prächtige Gewänder drehten und zwirbelten sie ihre makellosen Körper.
Ixions Blick blieb an Hera haften. In seinen Augen war sie die schönste der Göttinnen. Er suchte den Aufmerksamkeit ihrer großen, kuhhaften Augen. Doch Hera verschwendete keinen Blick an den mickrigen König.

Im Dämmerlicht der Orgie
Ixion stopfte gierig Essen in sein Maul, saugte am Weinschlauch und soff Ambrosia. Mit den Händen verschlang er Essen und Wein, mit den Augen Hera. Als ihm der Alkohol zu Kopf stieg, bewegte er sich auf die Tanzfläche. Er schwankte auf die strahlende Göttin zu, sein Bauch gewölbt vom Fressen. Im Bart klebten ihm Essensreste und sein Atem stank nach Alkohol. Dergestalt erreichte Ixion die Göttin und griff ihr um die Taille.
Hera stieß den König angewidert ab. Doch Ixion wollte sich nicht abweisen lassen und versuchte es erneut. Er griff ihre Hand und zog. Seine Gedanken rasten. Er musste sie besitzen – warum sollte er sie nicht besitzen?! Er war ein Mensch unter Göttern – er fühlte sich selbst wie ein Gott. Mehr noch: Er hatte sich die Unsterblichkeit erarbeitet, die einem Gott unverdient in die Wiege gelegt wird! Hera wies ihn ab. Wieder ließ er sich nicht abtun. Als er das dritte Mal nach der Göttin greifen wollte, türmte sich plötzlich Zeus zwischen ihnen auf. Anstatt den weichen Busen Heras zu fassen, griff Ixions gegen den harten Bauch des Göttervaters. Zeus Brauen waren finster zusammengezogen.
Offenbarung
Zeus hatte das lüsterne Spiel des Menschen eine Zeit lang beobachtet. Er hatte gehofft, dass sich der Mensch zusammenreißen und besinnen würde. Doch der Mensch hatte nicht verstanden, wo er war und was sich gebührte. Der Mensch – obwohl reich beschenkt – verlangte mehr. Bedächtig stand Zeus auf und ging auf den Menschen zu. Er war mindestens ein Kopf größer als der Mensch und blickte auf den Menschen herab.
Aus Fleisch und Blut
In Wahrheit war Zeus ratlos. Ixion war sein Gast und ein Gast seiner Feier sollte jede Lust befriedigen. Es war das unausgesprochene Versprechen des Olymps. Hier lebte man in Saus und Braus, hier gingen alle Wünsche in Erfüllung. Was sollte Zeus tun? Ixion begehrte Hera, es war Zeus Pflicht, dem Gast sein Begehren zu erfüllen. Aber Ixion war ein Mensch. Ein hässlicher, besoffener, stinkender Mensch.
Zeus hatte keine Lust, sich mit den Lappalien des Menschen und seiner Wollust auseinanderzusetzen. Er streckte die offene Hand in den Himmel und griff in die Luft. Zwischen seinen Fingern verfing sich der Hauch einer Wolke. Er presste die Wolke in seiner Faust zusammen. So formte er die feuchte Luft zu einer festen Gestalt. Eine Wolke, in Fleisch verwandelt. Sie war das Ebenbild von Hera.
Entsetzt stand sie da. Zum ersten Mal in ihrem Dasein stand sie da. Auf zwei Füßen, zu Boden gedrückt, schwer und fest und hart. Zeus nahm die Hand von dem Wolkenkind und legte sie in die Hand von Ixion. Es war sein Geschenk an den bereits übermäßig beschenkten Ixion. Morgen, wenn das Fest vorbei war, würde seine Strafe folgen.
Ixion umgriff die Hand des Wolkenkindes, das es taub geschehen ließ. Er zog sie von der Tanzfläche und vergewaltigte sie.
Fortsetzung folgt…
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