Transsexualität ist ein Begriff der Neuzeit – die antiken Griechen kannten ihn nicht. Was sie allerdings kannten, war der Geschlechterwechsel. Zum heutigen Internationalen Tag der Trans*Sichtbarkeit (31. März) werfen wir einen Blick auf die antike Mythe von Iphis, in der Transsexualität ganz selbstverständlich zum Thema wird.

„Herzlichen Glückwunsch, es ist ein …“

Das Ehepaar Ligdus und Telethusa war trotz edler Herkunft arm. Sie hatten bereits eine Tochter und als Telethusa erneut schwanger wurde, mahnte Ligdus, ja kein Mädchen zu gebären! Noch eine Tochter könnten sie sich nämlich nicht leisten. Ligdus sagte sogar, dass er keine weitere Tochter dulden werde. Sollte ein Mädchen geboren werden, müsse es sterben. Telethusa aber spürte das Leben in sich rühren und beschloss, das Kind unter ihrem Herzen zu behalten – egal ob Mädchen oder Junge.

Als die Geburt nahte, erschien die Göttin Isis Telethusa im Traum und verriet der werdenden Mutter, dass sie ein Mädchen gebären würde. Doch sie solle sich nicht fürchten, fuhr Isis fort, und nicht um das Leben ihrer Tochter bangen. Sie solle das Kind als Jungen ausgeben.

Wenige Tage später wurde Iphis geboren. Es war ein Mädchen, doch eilig verhüllte die Mutter das Kind und verkündete dem Vater: Herzlichen Glückwunsch, es ist ein Junge!

Wer bin ich?

Die Freude war groß und das Kind dufte leben. Dankbar nahm Telethusa ihre Tochter an die Brust. Außer Amme und Mutter erfuhr keine Menschenseele, dass Iphis ein Mädchen war. Nicht einmal dem Kind selbst offenbarten sie, wer es war.

So wuchs Iphis in der Vorstellung auf, ein Junge zu sein. Sie wurde unterrichtet wie ein Junge, spielte mit Jungs und wurde behandelt wie ein Junge. Schließlich, mit 13 Jahren, sollte sie vermählt werden. Ihr Vater Ligdus wählte die Ianthe als Partnerin und Iphis, die sich bis dahin selbst für einen jungen Mann gehalten hatte, verliebte sich in Ianthe.

Kann das Liebe sein?

Diese Liebe warf alles über den Haufen: Iphis wurde sich plötzlich darüber bewusst, dass sie den Körper einer Frau hatte. Zugleich fühlte sie sich zu Ianthe hingezogen, wie nur ein Mann sich zu einer Frau hingezogen fühlen konnte.

Iphis verzweifelte über ihr eigenes Sein: Sie war eine junge Frau – fühlte sich aber wie ein junger Mann. Wütend ermahnte sie sich selbst: „Sieh, wie Natur dich schuf, wenn nicht auch selbst du dich täuschest; (Ovid, 8. Buch der Metamorphosen)

Doch es half nichts: Sie liebte Ianthe und wollte sie heiraten. Sie wollte ein Junge sein, auch wenn ihr Körper der eines Mädchens war. Iphis war so verzweifelt, dass sie sich das Leben nehmen wollte. Denn welchen Sinn hatte ihr Dasein, wenn sie nicht sein konnte, wer sie wirklich sein wollte? Wenn sie nicht heiraten konnte, wen sie wirklich liebte?

Die Verwandlung

Telethusa, die liebende Mutter, spürte die Verzweiflung ihres Kindes und flehte die Götter um Hilfe. Sie betete zu Isis, der Göttin, die ihr einst geraten hatte, Iphis als Knaben auszugeben. Tatsächlich hatte Isis schon darauf gewartet, von Telethusa gerufen zu werden. Denn schon lange wusste die Göttin, was weder Mutter noch Tochter klar war: Iphis war ein Junge, auch wenn er im Körper eines Mädchens geboren war. Die Göttin wandelte das Geschlecht der Iphis um und befreite ihn so von seinen Qualen. Iphis wurde zum Jungen und konnte seine geliebte Ianthe heiraten.