
Wir haben gelernt, dass das Sternbild des Wassermanns für den schönen Jüngling Ganymed steht. Aber es gibt auch eine andere Interpretation: Demnach ist der Wassermann ein alter, weiser Mensch, der Stammesvater der Menschheit wurde.
Sintflut
Deukalion war der Sohn des Prometheus und fristete ein ruhiges Dasein. Gemeinsam mit seiner Frau Pyrrha bewirtschaftete er die Felder, lebte von seiner Ernte und war ein rundum zufriedener Mensch, ohne Neid und ohne Bosheit.
So erreichten Deukalion und Pyrrha ein hohes Alter und erwarteten nicht mehr viel vom Leben, als eines Tages Deukalions Vater zu Besuch war und die beiden eindringlich warnte: Die Menschen seien verdorben und es werde eine Flut kommen, um sie auszulöschen.
Auf den Rat seines Vaters hin baute Deukalion ein großes Schiff, belud es mit reichlichen Essen und ging an einem sonnigen Tag, als kein anderer Übles ahnte, mit seiner Frau Pyrrha an Bord. Und dann kam der Regen. Im griechischen Mythos ist nicht überliefert, ob es genauso lang regnete wie in der Bibel. Sicher ist bloß, dass die Welt buchstäblich „unterging“. Zeus, der die Sintflut geschickt hatte, wollte das Geschlecht des Menschen ein für alle mal auslöschen.
Deukalion und Pyrrha harrten in ihrem Schiff aus. Sie aßen, ruhten und warteten, während der Regen weiter prasselte und das Land ertränkte.
Knochen der Mutter
Schließlich hörte der Regen auf. Die Sonne trocknete das Land und bald konnte das alte Paar ihre Füße wieder auf festen Erdboden setzen. Sie waren die letzten überlebenden Menschen. Aber Deukalion und Pyrrha waren zu alt, um Nachfolger zu zeugen – sollte das Geschlecht der Menschen also doch mit ihnen enden?
Ratlos suchten die beiden das Orakle auf und baten die Göttin Themis um Hilfe. Themis empfahl ihnen: Deukalion solle die Knochen seiner Mutter aufheben und über seine Schulter werfen. Aus den Knochen werde neues Leben entstehen.
Deukalion war entsetzt von diesem Vorschlag: Er sollte das Grab seiner Mutter schänden?! Das kam für den alten Mann nicht in Frage. Lieber sollte die Menschheit zugrunde gehen – vielleicht hatte sie es nicht anders verdient.
Ein Orakel verstehen
Doch Pyrrha ließ sich nicht so leicht abspeisen. Sie grübelte über den Orakelspruch nach, und schließlich verstand sie: Wenn das Orakel von der Mutter sprach, dann war nicht die leibliche Mutter gemeint, sondern Mutter Erde. Und was das Orakel als Knochen bezeichnete, waren die Steine, die auf dem Boden lagen.
Pyrrha nahm einen Stein von der Erde auf und warf ihn über ihre Schulter. Dort, wo er landete, spross eine junge Frau aus dem Boden. Erstaunt beobachtete Deukalion, was seine Frau da tat. Auch er hob nun einen Stein vom Erdboden auf und warf ihn über seine Schulter. Wo der Stein hinfiel, erspross ein junger Mann.
Das Paar tauschte einen staunenden Blick. Dann nahmen Deukalion und Pyrrha eine ganze Handvoll Steine und warfen sie über ihre Schultern. Es entstand ein neuer Stamm und Deukalion und Pyrrha wurden die Stammeltern der neuen Menschheit. Ob sie weniger verdorben war als diejenige, die Zeus vernichtet hatte…?
Auf jeden Fall wurde Deukalion an den Himmel erhoben. Als Sternbild des Wassermannes blickt er auf die Erde herab und begutachtet das Geschlecht, das er hervorgebracht hat. Pyrrha hingegen ging leer aus. Obwohl sie es war, die den Orakelspruch entziffert hatte.
…oh ich liebe Orakelsprüche…