Puco fragt:

[…] eine Frage zu der Aussage: „niemals einer Frau ein fruchtabtreibendes Zäpfchen zu geben“.

Woher weiß man, dass damit nur ein bestimmter Wirkstoff gemeint ist? Und warum war nur dieser Wirkstoff nicht akzeptabel?

Die Leserfrage ist komplex und verdient deshalb einen eigenen Artikel außerhalb der Reihe.

Kurz und Knapp

Die Quellen, die ich zu Rate gezogen habe, sagen das. Hier ist nun mein Versuch, die Argumentationslinie nachzuzeichnen. Aber die Rote Karotte ist keine Alt-Philologin 🙂

Blick ins Original:

Der Knackpunkt liegt im alt-griechischen Originaltext vom Hippokratischen Eid. Er lautet:

Ὁμοίως δὲ οὐδὲ γυναικὶ πεσσὸν φθόριον δώσω.

Für Nicht-Griechen:

Ὁμοίως
„Außerdem“
δὲEin typisches Füllwort. Es bedeutet so viel wie „aber“, wird aber meistens nicht mitübersetzt.
οὐδὲ„Nie“ oder auch „Auf keinen Fall“
γυναικὶ„Frauen“ im Plural
πεσσὸνHier wird es schwierig. Das deutsche Wort Pessar kommt von diesem Alt-Griechischen Wort. Im Alt-Griechischen bezeichnete es ursprünglich einen Spielstein. Wir übersetzen das Wort an dieser Stelle aber am ehesten mit „Zäpfchen“.
φθόριονDieses Adjektiv bezieht sich auf das vorherige „Zäpfchen“ und bedeutet so viel wie „zerstörerisch“.
δώσω„verabreichen“.

Entscheidend ist die Formulierung „πεσσὸν φθόριον„, das „Zerstörerische Zäpfchen“. Hier gehen die Übersetzungen auseinander:

  • Hans Diller, gefeierter Philologe (und NSDAP-Mitglied) übersetzte 1932 ganz Allgemein: „keiner Frau ein Abtreibungsmittel geben.“
  • Arzt und Medizinhistoriker Charles Lichtenthaeler hingegen schrieb 1985: „keiner Frau ein keimvernichtendes Vaginalzäpfchen verabreichen.“

Eine von Vielen

Das „keimvernichtende Vaginalzäpfchen“ taucht in dem Wortlaut „πεσσὸν φθόριον“ auch in anderen antiken Quellen auf und beschreibt dort eine bestimmte Methode zur Abtreibung. An gleicher Stelle werden auch andere Methoden angeführt, zum Beispiel Bauchmassage, Druckausübung und Springen. Oder das Verabreichen von Tränken, die frühzeitig Wehen auslösen. Alles in allem kannten die Griechen über 200 verschiedene Abtreibungs-Methoden. Bei ungefähr 90 Prozent schätzen wir heute, dass sie auch wirksam waren.

Insofern können wir annehmen, dass es sich bei dem keimvernichtenden Vaginalzäpfchen um eine Abtreibungsmethode von mehreren handelt. Warum und ob diese Methode schädlich war- das wissen wir nicht. Es ist eine Vermutung. Grundsätzlich waren viele Abtreibungsmethoden gefährlich für die austragende Frau. Aber ein Verbot von Hippokrates legt natürlich nahe, dass es sich hierbei um einen gefährlichen medizinischen Eingriff handelt.


Quellen

Der Hippokratische Eid. Abgerufen am 27.06.2022 von http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/volltextserver/15743/1/Bauer_Hippokratischer_Eid.pdf

Charlotte Schubert. Der hippokratische Eid und die Vorstellung von der Unverletzlichkeit menschlichen Lebens. n: Heinrich Schmidinger, Clemens Sedmak (Hg.), Der
Mensch – ein Abbild Gottes? Geschöpf – Krone der Schöpfung – Mitschöpfer
(Topologien des Menschlichen 7), Darmstadt 2010, S. 255-272. Abgerufen am 27.06.2022 von https://archiv.ub.uni-heidelberg.de/propylaeumdok/5045/1/Schubert_Der_hippokratische_Eid_2010.pdf

Charlotte Schubert. Bemerkungen zum Hippokratischen Eid. In: Medizinhistorisches Journal 20, 1985, S. 253-260. Abgerufen am 27.06.2022 von https://d-nb.info/1239898827/34