
Hunderttausende Ukrainer*innen sind vor dem Krieg nach Deutschland geflüchtet. Viele von Ihnen finden ein improvisiertes Heim bei Privatpersonen. Aber Helfende müssen auf sich Acht geben: Wer schwer traumatisierte Kriegsflüchtlinge aufnimmt, riskiert selbst traumatisiert zu werden.
Trauma – Was ist das?
Wenn einem der Boden unter den Füßen weggerissen wird, ist das ein traumatisches Ereignis. Die Welt gerät aus den Fugen – worauf man sich gestern noch verlassen konnte, zählt heute nicht mehr. Plötzlich ist Krieg in der Ukraine. Plötzlich schlagen Bomben ein, plötzlich muss man alles hinter sich lassen und fliehen. Nahezu alle, die heute aus der Ukraine fliehen, mussten Schreckliches erleben und sind potenziell traumatisiert.
Flucht und Ankommen
Wenn sie in Deutschland ankommen, sind die Geflüchteten in einer akuten Belastungsphase. Sie haben die Ereignisse noch nicht verarbeitet, sondern stehen unter Strom. Körper und Kopf laufen auf Überlebensmodus: Kriegsausbruch, Flucht, Suche nach einem sicheren Dach über dem Kopf. Es bleibt keine Zeit, um durchzuatmen und zu realisieren, dass das wirklich passiert.
Der Körper bringt zum Ausdruck, was der Mensch erlebt hat: Tränen, Angstausbrüche, schlaflose Nächte und Appetitlosigkeit. Obwohl in Sicherheit, steckt die Todesangst in den Knochen.
Unterschied zwischen Professionellen und Laien
Traumata sind ansteckend, ähnlich wie ein Virus. Der Mensch ist ein empathisches Wesen und erlebt die traumatischen Erfahrungen seines Gegenübers nach. Er spürt die Angst und bekommt selbst Angst. Er spürt die Verzweiflung und verzweifelt selbst. Der Helfende wird sekundär traumatisiert.
Professionelle – Therapeuten, Sozialarbeiter, Notfallhelfer etc. – wissen, wie sie sich schützen können. Laien hingegen unterschätzen die Gefahr einer Sekundärtraumatisierung und sind nicht darauf eingestellt, die schrecklichen Erfahrungen aus erster Hand zu teilen, nachzuerleben und von Mitgefühl überschwemmt zu werden.
Posttraumatische Belastungsstörung (PBS)
Ein traumatisches Ereignis führt bei Rund einem Drittel aller Betroffenen zu einer posttraumatische Belastungsstörung (PBS): Menschen, die unter einer PBS leiden, erleben noch Jahre später Intrusionen. Plötzlich sind sie wieder am Ort des Grauens, spüren die Angst und Panik wieder in sich hochsteigen und sehen kein Entkommen. Sie sind permanent in Alarmzustand, leiden unter Schlafstörung und fühlen sich hoffnungslos.
Das System in der Pflicht
Wenn Geflüchtete in Deutschland an- und zur Ruhe kommen, lässt die akute Belastung nach. Jetzt kann es sein, dass sie eine PBS entwickeln. Dann brauchen Sie therapeutische Hilfe vom Profi – ein Laie ist heillos überfordert und riskiert, vom Strudel der Verzweiflung mitgerissen zu werden.
Es ist fantastisch, wie viele Menschen helfen. Viele nehmen Geflüchtete auf, teilen ihren privaten Raum mit fremden Menschen und tun alles, um ihnen zu helfen. Aber viele Helfende unterschätzen die Herausforderungen, die eine akute Traumatisierung oder PBS mit sich bringt. Auch Helfende brauchen Hilfe. Sie sind ebenfalls einer akuten Belastung ausgesetzt und haben nicht das professionelle Handwerk, um sich von dem Leid ihrer Gäste zu distanzieren.
Deshalb muss jetzt das professionelle Helfersystem greifen, um Geflüchtete und Helfende gleichermaßen zu schützen.
Quellen
2022, 10. März. Erste Hilfe für Helfende. 2022 Ukrainehilfe und Deine Selbstfürsorge. Sekundäre Traumatisierung. Abgerufen am 27.03.2022 von https://www.youtube.com/watch?v=Nf2ATKLMgE8
2022, 23. März. Alle sind massivst belastet. Chrismon. Abgerufen am 27.03.2022 von https://chrismon.evangelisch.de/artikel/2022/52489/ukraine-fluechtlinge-traumatisierte-und-ehrenamtliche
Christian Wolf. 2018, 05. März. Sind Traumata ansteckend? Spektrum. Abgerufen am 27.03.2022 von https://www.spektrum.de/news/sind-traumata-ansteckend/1534611
Schreibe einen Kommentar