Die Geschichte von Persephone kann auf viele Arten erzählt werden: Es ist die tragische Geschichte eines Mädchens, das aus den Armen seiner Mutter gerissen und gegen seinen Willen vermählt wird. Oder aber die Geschichte einer jungen Frau, die sich zur Herrscherin der Unterwelt aufschwingt. In jedem Fall ist es die Geschichte der vier Jahreszeiten.

Der Raub

Kore pflückte Blumen, als sich der Erdboden auftat und Hades, Gott der Unterwelt, erschien. Er raubte das wunderschöne Mädchen und entführte es in die Unterwelt.

Kores Mutter, Demeter, suchte verzweifelt nach ihrer geliebten Tochter. Als sie erfuhr, dass ihr Kind vom Gott der Unterwelt entführt worden war, gefror ihr das Herz vor Kummer. Demeter ist Göttin der Fruchtbarkeit und ihre schreckliche Trauer hatte konkrete Konsequenzen: Blumen und Getreide gingen ein, Bäume verloren ihre Blätter, nichts wuchs mehr.

Alarmiert vor einer drohenden Hungersnot, erlaubte Zeus Demeter, ihre Tochter aus der Unterwelt zurückzuholen. Doch Demeter kam zu spät. Kore hatte von den Früchten der Unterwelt gegessen und war damit ein Teil der Schattenwelt geworden. Aus dem jungen Mädchen war Persephone, Göttin der Unterwelt, geworden.

Ein Kompromiss

Demeter erkannte, dass ihre geliebte Tochter nun für immer an die Unterwelt gebunden sein wird. Sie brach in Tränen aus. Ihr mütterlicher Kummer war so groß, dass er sogar das Herz vom Gott der Unterwelt erweichte: Hades schlug seiner Schwiegermutter einen Kompromiss vor: Persephone hatte nur ein kleines Stück Frucht gegessen, deshalb solle sie acht Monate des Jahres auf der Erde wandeln, vereint mit Mama Demeter. In den übrigen vier Monaten sollte Persephone bei ihrem Mann in der Unterwelt leben.

In diesen vier Monaten der Trennung versinkt Mama Demeter Jahr für Jahr in tiefe Trauer und hüllt die Welt in Unfruchtbarkeit – wir nennen diese Zeit Winter. Aber wenn die geliebte Tochter zurückkehrt, erwacht auch die Welt in neue Farben, Blüten sprießen und Knospen wachsen: Der Frühling ist da.

Heute ist der Tag, an dem Persephone aus der Unterwelt zurückkehrt und uns mit dem Frühlingsanfang beschenkt – eine Freude nicht nur für ihre Mama Demeter.

Eine Geschichte – viele Versionen

Persephone war und ist eine Identifikationsfläche. Ihre Geschichte verrät uns heute einiges über die jungen Frauen im antiken Griechenland.

  • Viele Frauen wurden jung zwangsverheiratet. Sie wurden aus ihrem zu Hause gerissen und fanden sich in der Fremde wieder. Ihre Geschichte wird im Raub der Persephone dargestellt.
  • In anderen Versionen ist Persephone verliebt in ihren Ehemann und glücklich mit ihrer neugewonnen Rolle als Königin der Unterwelt. In Abbildungen sitz Persephone auf dem Thron, Hades verbleibt im Hintergrund. Geschenke und Anbetungen werden ihr dargebracht, nicht ihrem Gatten: Sie hat eine Macht gewonnen, die ihr auf Erden nie zu Teil geworden wäre.
  • Wieder andere Erzählungen fokussieren sich auf die Trauer der Mutter: Hier wird die Bedeutung der Mutter-Tochter-Beziehung in den Mittelpunkt gestellt.
  • Und schließlich spielt auch die Frucht, von der Persephone isst und die sie an die Unterwelt bindet, eine entscheidende Rolle: Persephone isst einen Granatapfel. Hier klingt der biblische Apfel der Erkenntnis an. Aber es ist nicht das Paradis, sondern die Welt der Untoten. Nicht der Apfel, sondern der blutrote Granatapfel. Wie Eva kann auch Persephone der Versuchung nicht widerstehen und kostet von der verbotenen Frucht. Aber anstatt Verbannung aus dem Paradis wird Persephone mit der Bannung in die Unterwelt gestraft.

Die Geschichte von Persephone erklärt , warum es Jahreszeiten gibt. Wir nennen Geschichten, die ein tatsächliches Phänomen in einen mythischen Kontext setzen, Ätiologien. Zugleich ist die Mythe ein Spiegel der antiken Gesellschaft und verrät uns, was im damaligen Leben wichtig war. Schließlich lehrt die Mythe auch: Eine Geschichte hat viele Facetten haben.