
Orakel von Delphi
Die Geburtsstunde des Ödipus-Komplex liegt in Delphi: Hier sagte vor über 2000 Jahren das berühmt-berüchtigte Orakel von Delphi voraus, dass Ödipus seinen Vater erschlagen und seine eigene Mutter heiraten werde. Die Prophezeiung erfüllte sich – ironischer weise genau deshalb, weil Laios, der Vater von Ödipus, daran glaubte.
Das Orakel von Delphi war berühmt und seine Weissagungen sind auch heute noch bekannt. Aber warum eigentlich Delphi? Wie kam es, dass das Orakel seine Weissagungen ausgerechnet hier tätigte?
Beinahe der perfekte Ort
Gott Apollon hat eigentlich einen anderen Ort ins Auge gefasst: Gelegen an einer wunderschönen Quelle, am Fuße eines Berges und verwunschen bewachsen: Das Zuhause der Nymphe Tilphussa. Euphorisch verkündet der Sonnengott, hier sein Orakel zu bauen. Fortan solle jeder Mann hierher kommen, um seine Zukunft zu erfahren.
Tilphussa ist dagegen. Sie warnt den Gott, dass der naturbelassene Ort von den Besuchern zerstört werden würde. Die Pfade würden von Pferdewagen zertrampelt, die Quelle verschmutzt werden. Die Nymphe hat aber nicht nur gute Gründe, warum ihr Zuhause ungeeignet ist, sie weiß auch einen besseren Ort: Delphi!
Der perfekte Ort
Apollon macht sich auf den Weg zu dem empfohlenen Ort und ist begeistert: Das ist wirklich der perfekte Ort für sein Orakel. Einziges, marginales Problem: Hier lebt die geflügelte Schlange Python.
Tatsächlich kommt der Drache dem Gott aber gelegen: Erstens, für den begnadeten Bogenschützen Apollon ist es kein Problem, Python zu erledigen. Zweitens, Apollon hat noch eine offene Rechnung mit dem Drachen, der nämlich versucht hatte, Apollons Mutter zu töten. Und schließlich hat Python weissagende Fähigkeiten. Dass ihr Blut den Ort durchtränkt, stärkt die Macht des Orakels von Delphi.
Win-Win-Situation
Es ist eine Win-Win-Situation: Apollon hat den Drachen Python erlegt und den perfekten Ort für sein Orakel gefunden. Die Nymphe Tilphussa hat ihre Quelle erhalten und darf weiter in Frieden leben. Aber denkste!
Das Problem mit der Diplomatie ist, dass sich die Partner oft misstrauen. Eine Win-Win-Situation – kann das wirklich wahr sein? Apollon ist skeptisch und fragt sich plötzlich, ob Tilphussa böse Absichten hatte, als sie ihn nach Delphi schickte – wusste sie von Python? Hatte sie gehofft, Apollon würde vom Drachen getötet werden?
Apollon ist davon überzeugt, dass Tilphussa ihn betrogen hat. Er wittert Verrat – und obwohl sich für ihn alles zum Guten gewendet hat, will er sich an Tilphussa rächen.
Makabre Rache
Griechische Mythen lesen sich häufig wie ein Handbuch für perfekte Rache: Schlachte deine eigenen Kinder ab und gib sie deinem Mann zu essen (Medea). Stich dir die Augen aus (Ödipus), treib deinen Nemesis in den Wahnsinn (Dionysos) oder verdonnere dein Opfer zur Stummheit (Echo).
Apollon rächt sich, indem er einen Schrein auf die Quelle der Tilphussa baut. Die Quelle versiegt und der Ort verödet. Tilphussa, als Nymphe mit der Natur des Ortes verbunden, stirbt daran. Und als wäre das nicht genug, widmet Apollon den Schrein der Nymphe. Nun ehren die Menschen Tilphussa an eben jenem Schrein, der sie zu Grunde gerichtet hat.
Quellen
Homerische Hymnen. An den delischen Apollon. Abgerufen am 16.01.2022 von https://www.theoi.com/Text/HomericHymns1.html#3
Telphousa. Theoi. Abgerufen am 16.01.2022 von https://www.theoi.com/Nymphe/NympheTelphousa.html
Apollon. Theoi. Abgerufen am 16.01.2022 von https://www.theoi.com/Olympios/Apollon.html
2021, November. Far Shooting Phoebus Apollo – God of Everything and of Nothing. Let’s Talb About Myths, Baby! Abgerufen am 16.01.2022 von https://open.spotify.com/episode/5kOTPpgXkcK3LhjeMO7QWZ
A story of the golden age. James Baldwin. Abgerufen am 16.01.2022 von https://books.google.de/books?id=dQ0OAAAAYAAJ&printsec=frontcover&hl=de&source=gbs_ge_summary_r&cad=0#v=onepage&q&f=false
Schreibe einen Kommentar