Der menschliche Blutdurst hat die Breitmaulnashörner zur bedrohten Art dezimiert – aber wie weit sollte der Mensch gehen, um die Tiere heute vorm Aussterben zu schützen? Ist jedes Mittel erlaubt, bzw. sinnvoll? Zwei Beispiele zeigen die Absurdität des Artenschutzes.

Nashörner in der Luft

Am 30. November hebt die Boeing 747 in Südafrika ab – an Bord 30 Breitmaulnashörner. Ziel ist der Nationalpark in Ruanda. Dort – so die Hoffnung – haben die mächtigen Dickhäuter eine bessere Überlebenschance. Denn in Südafrika werden jeden Tag rund drei Nashörner durch Wilderer ermordet. Im 3.700 Kilometer entfernten Ruanda bekommen die Tiere einen Ortungssender und bewegen sich in einem eingrenzten Gehege. Außerdem werden sie von Hunden und sogar Helikoptern bewacht. Das soll ihr Überleben sichern.

Retorten-Nashornbaby

Für das nördliche Breitmaulnashorn ist es dafür zu spät. De facto ist es bereits ausgestorben: Es leben weltweit nur noch zwei Weibchen, die keine Kinder mehr austragen können. Und der letzte Bulle ist 2018 verstorben. Allerdings hat die Wissenschaft vom BioRescue Konsortium Mutter Natur bei den Hörnern gepackt und sich eine eigene Methode zur Fortpflanzung überlegt:

  1. Das Sperma des Bullen wurde eingefroren.
  2. Den Nashorn-Weibchen wurden Eizellen entnommen.
  3. Die Eizellen wurden im Labor mit Sperma befruchtet.

Voila: Neun Nashorn-Embryonen. So weit, so real. Der weitere Plan:

  1. Diese Embryonen sollen Leihmüttern eingepflanzt werden – artverwandten südlichen Breitmaulnashorn.
  2. Nach der Geburt sollen die kleinen Retorten-Nashornbabys zurück zu Mama geschafft, um in einem natürlichen Umfeld aufzuwachsen.

Und Voila: Moderne Nashorn-Patchwork-Family.

Artenschutz: Wichtig und Richtig

Artenschutz ist wichtig – schon aus pragmatischen Gründen: Jede lebende Art ist teil des Ökosystems , welches uns mit seiner Stabilität einen lebenswerten Alltag beschert. Artenschutz ist außerdem aus ethischen Gründen richtig: Wenn wir uns mal an die eigene Nase fassen, müssen wir zugeben: Die Nashörner sind vom Aussterben bedroht, weil der Mensch sie zu Grunde richtet. Wilderer ermorden die Tiere, um an das wertvolle Horn zu kommen.

Wann ist es zu viel?

Aber gibt es so etwas wie „zu viel Artenschutz“? Wenn zum Beispiel die letzten zwei lebenden Tiere einer Art betäubt werden, damit man ihnen Eizellen für eine künstliche Befruchtung entnehmen kann? Oder wenn Tiere betäubt werden, um tausende Kilometer entfernt an einem fremden, eingezäunten Ort wieder aufzuwachen?

Wo Ethik draufsteht, muss nicht Ethik drin sein

Um diese Fragen zu evaluieren, hat BioRescue ein ethisches Selbstbewertungsinstrument entwickelt. Es trägt den Namen ETHAS. Leiter von BioRescue Professor Thomas Hildebrant sagt:

„Wenn wir neue Dinge tun können, ist es unsere Pflicht, auch zu überlegen, was wir tun sollten und wie wir sie in einer Weise anwenden können, sodass sie den Tierschutz, Risikoüberlegungen, die Sicherheit der beteiligten Personen und die Qualität der Verfahren wirklich respektieren“

Es gibt also eine ethische Abwägung, wann Artenschutz geboten ist – und wann es moralischer wäre, die letzten Tiere ihrer Art in Frieden aussterben zu lassen. Allerdings stellt sich die Frage, was wie stark gewichtet wird. Was ist wichtiger, das Tierwohl, oder die Qualität der Verfahren?


Quellen

2021, 30. November. Artenschutz: 30 Breitmaulnashörner nach Ruanda ausgeflogen. Deutschlandfunk. Abgerufen am 05.12.2021 von https://www.deutschlandfunk.de/artenschutz-30-breitmaulnashoerner-nach-ruanda-ausgeflogen-106.html

Patrick Eickelmeier. 2021, 03. Mai. Alternativen zum Aussterben. Tagesspiegel. Abgerufen am 05.12.2021 von https://www.tagesspiegel.de/wissen/kinderwuensche-und-umsiedelungen-fuer-nashoerner-alternativen-zum-aussterben/27154610.html

Anne-Sophie Schmidt. 2019, 07. Oktober. Die beiden Letzten ihrer Art. Tagesspiegel. Abgerufen am 05.12.2021 von https://www.tagesspiegel.de/themen/freie-universitaet-berlin/wettlauf-gegen-die-zeit-die-beiden-letzten-ihrer-art/25056294.html

2021, 22. März. Neue Technologien, neue Verantwortung: BioRescue entwickelt ethische Risikobewertung für das Rettungsprogramm der nördlichen Breitmaulnashörner. Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung. Abgerufen am 05.12.2021 von https://www.izw-berlin.de/de/pressemitteilung/neue-technologien-neue-verantwortung-biorescue-entwickelt-ethische-risikobewertung-fuer-das-rettungsprogramm-der-noerdlichen-bre.html

2021, 21. Oktober. Biorescue stellt nach ethischer Risikobewertung die Eizellenentnahme bei einem von zwei nördlichen Breitmaulnashörnern ein. BioRescue. Abgerufen am 05.12.2021 von http://www.biorescue.org/de/news/biorescue-stellt-nach-ethischer-risikobewertung-die-eizellenentnahme-bei-einem-von-zwei