
Passend zur Frankfurter Buchmesse startet die Initiative „Fair Lesen“. Unterschrieben haben unter anderem die Bestseller-Autorinnen Juli Zeh und Sibylle Berg. Sie fordern, dass jeder Verlag die Wahl hat, ob und wann er seine Bücher zur Online-Leihe als E-Buch anbieten möchte.
Politischer Hintergrund
Die ersten sechs Monate nach Erscheinen sind die Prime-Time des Verkaufs für jedes Buch: In dieser Zeit gehen die meisten Exemplare über die Ladentheke. Gleiches gilt auch für Bibliotheken: Bestseller werden besonders viel in den ersten sechs Monaten nach ihrem Erscheinen ausgeliehen. Deshalb drängt der Deutsche Bibliotheksverein seit Jahren darauf, dass mit dem Erscheinen des Buchs auch eine E-Buch-Lizenz erstellt wird. Bisher warten die meisten Verlage drei bis sechs Monate damit, bis sie das Buch auch zur Online-Ausleihe freigeben.
Am 26. März 2021 riet der Bundesrat, die Verlage zu verpflichten, sofort eine Lizenz für die Online-Ausleihe freizugeben. Der Aufschrei von Autorinnen, Verlagen und dem Buchhandel war groß.
Jetzt – pünktlich zum Beginn der halb digitalen, halb analog stattfindenden Frankfurter Buchmesse, startet die Initiative „Fair Lesen“, um erneut gegen eine „Zwangslizenz“ zu kämpfen. Das Thema ist auch vor dem Hintergrund der neuen Regierungsbildung relevant: SPD und Grüne haben sich bereits für eine Zwangslizenz ausgesprochen, um allen einen einfachen Zugang zu Büchern zu ermöglichen.
Gegen eine „Zwangslizensierung“
Warum verweigern sich die Autorinnen einer Lizenz für die Online-Ausleihe, kurz „Onleihe“? Es gibt zwei Argumente gegen Onleihe :
Das erste Argument ist ein Prinzipien-Argument: Autorinnen wollen sich nicht in ihr Urheberrecht reinreden lassen. Sie haben das Buch geschrieben, sie sollten auch – gemeinsam mit ihrem Verlag – entscheiden können, wann und wie es veröffentlicht wird. Wenn eine Autorin kein E-Buch veröffentlichen will, sollte sie sich frei dagegen entscheiden können.
Das zweite Argument ist wirtschaftlicher Natur und hat es in sich: Für jedes Buch, das in einer Bibliothek ausgeliehen wird, erhält die Autorin Bibliothekstantiemen, um genau zu sein 4,3 Cent. Dieses Geld wird von den Bundesländern gezahlt. 2021 waren es insgesamt 15 Millionen Euro. Bei der Onleihe hingegen bekommt die Autorin „nahezu nichts“:
Der Anteil der verliehenen E-Bücher machte 2020 bereits 46 Prozent des gesamten E-Buch-Handels aus. Fast jedes zweite E-Buch wird also ausgeliehen, nicht gekauft. Trotzdem machen die Erlöse durch die Onleihe nur 6 Prozent der jährlichen E-Buch Umsätze aus.
Es besteht also ein großes wirtschaftliches Interesse, E-Buchs zu verkaufen, anstatt zu verleihen. Am besten verkaufen lassen sich Bücher aber in den ersten drei Monaten nach Erscheinen. Deshalb wollen Verlage ihre Bücher in diesem Zeitraum nicht zur Onleihe anbieten. Es soll ein Kaufanreiz gesetzt werden.
Argumente für E-Lending
Für eine sofortige Onleihe spricht: Das Ziel von Bibliotheken ist es, Lesen einfach und kostengünstig zu ermöglichen. Ein E-Buch kann sich jeder bequem von zu Hause runterladen – gerade während Corona ein großes Plus. Ein Vorwurf lautet: Wenn E-Bücher erst drei oder sechs Monate nach Veröffentlichung zur Verfügung gestellt werden, mache das Bibliotheknutzerinnen zu Leserinnen zweiter Klasse. In jedem Fall erschwert es den Zugang zu den Büchern – steht dem Anspruch von Bibliotheken also diametral entgegen.
Best Practice Beispiele
Das Problem ist kein Neues und auch kein Deutsches. Deshalb ist es sinnvoll, einmal über die Landesgrenzen zu schauen: Hier finden sich zumindest zwei Lösungsvorschläge: Die Engländer geben nur eine begrenze Menge an Medien für die Onleihe frei. Noch charmanter ist die Lösung der Niederlande. Sie haben einfach den Bibliotheksetat vervierfacht, so dass auch für die Onleihe mehr Tantiemen gezahlt werden können.
Noch ist nicht klar, wer Deutschland demnächst regieren wird – aber feststeht: Die neue Koalition muss sich mit dem Problem der Onleihe auseinandersetzen – einerseits um Bibliotheken zu stärken, andererseits um den gebeutelten Buchmarkt am Leben zu halten.
Quellen
2021, 16. Oktober. Autoren kömpfen gegen E-Book-Ausleihe. Heute Journal. Abgerufen am 17.10.2021 von https://www.zdf.de/nachrichten/heute-journal/autoren-kaempfen-gegen-e-book-ausleihe-100.html
2021, 12. April. Autor*innen und Übersetzer*innen lehnen „Zwangslizenz“ ab. Börsenblatt. Abgerufen am 17.10.2021 von https://www.boersenblatt.net/news/autorinnen-und-uebersetzerinnen-lehnen-zwangslizenz-ab-172505
Faktencheck E-Book-Leihe. Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Abgerufen am 17.10.2021 von file:///C:/Users/Lena/AppData/Local/Temp/Faktencheck_E-Book-Leihe.pdf
2021, 15. Oktober. Autoren, Verlage und Buchhandel warnen vor „wirtschaftlichem Desaster“. Buchreport. Abgerufen am 17.10.2021 von https://www.buchreport.de/news/autoren-verlage-und-buchhandel-warnen-vor-wirtschaftlichem-desaster/
2021, 11. Oktober. Kampagne für „faire“ Bibliothekslizenzen. Buchreport. Abgerufen am 17.10.2021 von https://www.buchreport.de/news/kampagne-fuer-faire-lizenzen/
2021, 16. Oktober. Fair lesen – Initiative wendet sich gegen Zwang zu E-Book-Leihe. RBB-Kultur. Abgerufen am 17.10.2021 von https://www.rbb-online.de/rbbkultur/radio/programm/schema/sendungen/der_morgen/archiv/20211016_0600/kultur_aktuell_0810.html
2021, 16. Oktober. Autoren-Bündnis mahnt für Freiheit beim E-Book-Verleih. Deutschlandfunk. Abgerufen am 17.10.2021 von https://www.deutschlandfunk.de/appell-der-initiative-fair-lesen-autoren-buendnis-mahnt.2849.de.html?drn:news_id=1312115
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